Die X-Men sind ein Phänomen, keine Frage. Umsatzzahlen und Bekanntheit sprechen eine deutliche Sprache.

Das lässt Platz für einige Specials, die der Serie neue Leser beschaffen und den alten Lesern einen neuen Blickwinkel eröffnen sollen. Dazu holt man sich normalerweise ein gutes Gast-Team heran. Bei den durchweg soliden Machern der X-Serien kein leichtes Unterfangen. Mit Steve Rude holte man einen Veteranen der anspruchsvoll gezeichneten Superhelden-Comics zu diesem Projekt. Sein eleganter, glatter Stil verlieh schon dem auch inhaltlich schwergewichtigen Nexus Glanz und Anerkennung. Diesem hohen Qualitätsanspruch bleibt Rude auch diesmal treu. Deswegen bekam die Serie in den Staaten nach den ersten Heften auch hervorragende Kritiken.

"Kinder des Atoms" erzählt was geschah bevor Xavier die Schule für Begabte gründen konnte. Bobby, Warren, Jean, Hank und Scott sind besondere Jugendliche in verschiedene Milieus. Warren der Reiche versteckt seine Flügel und lebt in Saus und Braus, während Jean von ihren Eltern von der Öffentlichkeit abgeschirmt und behütet aufwächst. Scott ist eine Waise, die von einem kleinen Ganoven gedemütigt und ausgenutzt wird. Professor Xavier kämpft mit dem FBI um die Zukunft der Kinder, deren Leben durch eine Hetzkampagne bedroht ist. Der Ausgang der Geschichte ist so ziemlich Jedem vertraut, der sich mit amerikanischen Comics schon einmal beschäftigt hat.

Rude erzählt die Story in zeitgemäßen Bildern. Skinheads tyrannisieren die Schüler, Großbildschirme bringen die Fratze des Brandstifters in die Heime Amerikas und im Kinderzimmer steht ein Computer. Dabei sind die Bilder im Retro-Look nicht auf eine Zeit fest zu legen und die nächtliche Skyline erinnert eher an Burtons Batman-Filme als an die sechziger Jahre. Gerade deswegen sind die ersten drei Hefte eine wahrer Augenschmaus der unterkühlten Art. Auch Rudes Nexus war immer etwas emotionslos - aber immer am Stil klar zu erkennen. Über die drei letzten Hefte sollte man eher den beschönigenden Schleier des Schweigens legen.

Die Story dieses Albums ist so alt, wie Graphic Novels (abgeschlossene Geschichten in Albumlänge) bei Marvel. Bereits 1982 brachte Marvel mit God Loves, Man kills (deutsch: Verraten und Verkauft, Condor) die Geschichte um einen fanatischen Menschen, Reverent Stryker, der einen heiligen Krieg gegen die Mutanten führen will und Dank der Medien auch Gehör und Anhänger findet. Auch damals kämpften Charles und Eric mit unterschiedlichen Mittel den Kampf um die Anerkennung der Mutanten. In vielen Aspekten ist Children of the Atom eine moderne Nacherzählung dieser Geschichte. Die damals gerade sehr populären New X-Men mit Nightcrawler, Wolverien und Kitty wurden von Casey durch die Originale ersetzt und der Fernsehschirm bekommt ganz in Dark-Knight-Manier größere Bedeutung.

Wer ist Christian Grass? Er verfasste das Vorwort, das vor Ungereimtheiten nur so wimmelt. Natürlich muss man das eigene Produkt in ein gutes Licht rücken, aber offensichtliche Mängel sollte man nicht durch falsche Aussagen noch hervorheben. "Glücklicherweise gelingt es allen Künstlern hervorragend, die Atmosphäre der sechziger Jahre heraufzubeschwören" - warum sollte das den Zeichner gelingen wollen, wurde hier doch die Entstehungsgeschichte der X-Men in die heutige Zeit versetzt? Und die Qualität der verschiedenen Zeichner ist unübersehbar. Während Rude mit seinen unterkühlten und präzisen, klaren Bildern detailliert schildern kann, liefert Smith seine schlechteste Arbeit ab, die er jemals unter seinem Namen veröffentlichte. Mit Ryann wird es noch schlimmer: Falsche Proportionen und unlogische Seiteaufteilung degradieren die Zeichnungen auf Fan-Niveau.

Trotzdem liest sich das 160 Seiten starke Trade angenehm flott und kontinuierlich, auch wenn zum Schlussdie Zeichnungen schlimmer und die Story glatter wird.

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