Zeit – fast 18 Monate ist es her (und genauso viel in Euro kostet dieses Album) seit der erste Band dieser Serie veröffentlicht wurde. Damals (gestern?) war die unklare Story ein Hautkritikpunkt an dem hochwertigen Stück Comic-Kunst. War es Konzept oder Reaktion, dass der zweite Band wesentlich mehr Geschichte enthält als Band eins. Die Zeitachse führt uns in das Jahr 1999, aber die Erinnerungen führen diesmal nicht hautsächlich in das Jahr 1969 der ersten Mondlandung, sondern ins Jahr 1916. Die russische Revolution ist in vollem Gange und Eva Sterns Bruder, der verschollene Fotograf, ist Teil und Zeuge der Geschichte. An der Seite Lenins vögelt er österreichische Bolschewikinnen in Kirchen unter roten Fahnen. Zwei Grundthemen des französischen (und damit wegbereitenden) Comic sind hier vereint: Sex und Politik, meist links (voll okay, auch wenn der Chefredakteur das anders sieht).

Aber Sex ist nicht das Hauptthema, eher dabei, weil es zum Leben gehört. Genauso wie heutzutage der Computer. Ob man beides gut findet oder nicht, die lebensbeeinflussende Wertigkeit beider Themen ist Fakt - oder haben Sie sich noch nie über einen abstürzenden Computer geärgert?

Eva Stern ist in Band zwei der Anker, um den sich die Bilder drehen. Die alte Frau, die ihren letzten Tagen im Krankenhaus entgegensieht, an ihrer Seite die Hauptperson des ersten Bandes Luicienne, erzählt von der Suche nach ihrem Bruder. Durch die anonymen Mails angestachelt, erfährt der Leser immer mehr von dem Leben des Bruders in jenen vergangenen Tagen. Dabei überwiegen hier die traditionellen Comic-Seiten. Collage und Computer-Annäherung sind immer noch Bestandteil des grafischen Erscheinens, aber nicht mehr in ihrer den ersten Band bestimmenden Rolle. Das ist angenehm und lässt den Vorgänger unter einem besseren Stern erstrahlen, als er es alleine vermocht hätte.

Yslaire versteht es, poetische Gefühle ohne Kitsch in Bilder zu kleiden. Die Schwächen der im klassischen Stil erzählenden Seiten heben die Wirkung der eher fotografisch erscheinenden "neuen" Seiten noch hervor und lassen über die Bedeutung neuer Erzählformen nachdenken. So bietet "Erinnerungen 1999" Versöhnung und mildert den Konflikt, den der erste Band mit seiner grafischen Ausprägung beim einen Comic erwartenden Leser ausgelöst hatte. Das macht Platz für eine Neubetrachtung. Danke! Hoffentlich geht die Serie so beeindruckend - weil mit Erwartungen brechend - weiter.

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