Wie soll man Nico beschreiben? Beim ersten Durchblättern springen zuerst die phantastischen Naturschilderungen ins Auge. Im Gedächtnis werden es Fotos, obwohl sie bei näherer Betrachtung mit scheinbar leichter Hand nur skizziert sind. Die Farbgebung tut da ein Übriges mit ihren tausenden Abstufungen, alle flächig - computertypische Verläufe sucht man vergebens - lässt sie aus den Punkten und Strichen ein schneebedecktes Gebirge oder eine tropische Landschaften im Nebel werden. Langsam drängen sich die Worte des Zeichen-Lehrers aus der Schule wieder in Erinnerung, der verlangte, mit wenigen Strichen einen Baum zu malen. Nicht Blatt für Blatt, sondern das wesentliche konturierend. Ein beschauliches Bild, würden da nicht die Menschen mit ihren Emotionen stören. Verbissene Lippen des Zorns und Tränen der Erschöpfung reissen den Betrachter aus der Stille der Bergwelt. Die fotografische Genauigkeit in der Grafik hat oft, besonders in Farbe, einen sauberen, bis ans Sterile grenzenden Charakter. Lepage schafft es bei den Szenen aus dem karibischen Slum trotz seine akribischen Stils etwas vom vorherrschenden Verfall zu vermitteln.

Doch nun zur Geschichte. Die ersten beiden Bände der auf fünf Alben angelegten Serie, erzählen von Nico. Er ist Sohn eines ehrgeizigen Bergsteigers, der in Argentinien eine schwierige Passage meistern möchte. Nico träumt von einem Absturz seines Vaters und ist deswegen verstört. Die unbeschwerte Szene mit seiner Tante zeigt das letzte Lachen dieser 48 Seiten. Denn dann wird es verbissen. Die Expedition gerät in Schwierigkeiten. Nico muss im Basiscamp bleiben, nur sein Vater Stan, dessen Freundin und die bereits erwähnte Tante brechen auf, die gefährliche Wand zu meistern. Zu Beginn des Aufstiegs bekommt Stans Freundin Schwierigkeiten, Schwächeanfälle und Kopfschmerzen. Von Tag zu Tag geht es der Frau schlechter, doch der besessene Bergsteiger nimmt keine Rücksicht und erreicht den Gipfel. Es kommt zum Tod der Frau. An dieser Stelle eskaliert die Geschichte und Stan stirbt. Mehr tot als lebendig schlägt sich die Tante zum vereinbarten Treffpunkt durch. Ähnlich den Luis-Trenker-Filmen birgt auch diese Geschichte einen tragischen Höhepunkt - selber lesen!

Der zweite Band hat ein anderes Motiv. Es geht in die Karibik. Nico lebt bei seinem Onkel. Seine Tante ist im Sanatorium gelandet, sie kann mit dem Erlebten nicht umgehen. Um aus dieser Tristesse auszubrechen, machen die beiden Jungs Urlaub auf Réunion. Wieder hat Nico einen Alptraum und wieder gerät jemand in Todesgefahr. Immer wieder baut die zweite Geschichte Parallelen zur ersten auf, nur um diese Spannung in anderen Auswegen aufzulösen. Spätestens hier wird die Nähe des Comics zu dem Klassiker "Reisende im Wind" von Bourgon gleichsam mit Händen greifbar. Die Verwendung von Menschen und Kulisse ähneln sich und auch die Virtuosität der Bilder kann man vergleichen. Lepage wirkt dabei etwas distanzierter und realistischer. Der zweite Teil wirkt trotz der Spannung insgesamt gelöster. Hier steht Nico, der seinen Onkel mit Hilfe eines Fremden aus dem Bann eines Voodoo-Zauberers befreien kann, mehr im Vordergrund. Und schließlich gibt es viel Emotionen und sogar ein zartes Happy-End.

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