Sind Comics Kinderkram? Vor 1986 hätte jeder diese Frage wohl mit „ja“ beantwortet. Besonders die amerikanischen Superheldencomics hatten kein gutes Image bis zwei Comic-Meilensteine das Comiclesen auch für den gebildeten Menschen wieder salonfähig machten. Batman - The Dark Knight Returns des genialen Frank Miller war das eine der beiden bahnbrechenden Werke, das andere war das nun in einer ansprechenden Hardcover Edition vorliegende Watchmen des für Qualität bürgenden Doppels Gibbons / Moore. „Who watchs the Watchmen“ - Wer überwacht die Wächter? - Schon der Titel spielt mit Worten und Ebenen, und diesem Thema bleibt das Comic auf fast 400 Seiten treu.


Zuerst geht es mal um den Mord an einem ehemaligen Superhelden. Ist es überhaupt ein Mord? Wer kann einen der stärksten Männer Amerikas so einfach aus dem Fenster seines Wolkenkratzer-Apartements werfen? Überhaupt: Das Wort Superheld verbindet man immer mit einem guten Menschen, aber der Comedian war alles andere als ein guter Mensch. In Vietnam war er eher ein kaltblütiger Schlächter, erfolgreich aber skrupellos. Und wer wusste überhaupt, das Edward Blake einmal ein Superheld war? Das alles scheint nur den geistig verwirrten Rocharch zu interessieren. Er ist ein wortkarger und knallharter Detektiv. Seine Methoden sind fragwürdig aber effektiv. Im Gegensatz zum Comedian operiert Rocharch aber im lieber im Dunklen und ist als einziger Superheld immer noch aktiv. Die beiden gehörten zu den Watchmen, einer Superheldengruppe. Rocharch erzählt einigen seiner alten Kollegen von seiner Theorie, dass ein Superheldenmörder unterwegs sein, aber keiner glaubt ihm so recht. Irgendwie habe alle ihre eigenen Probleme. Professor Manhatten, nicht mehr menschlich aber allmächtig, grübelt der Welt entrückt über die Natur der Zeit nach. Er verlässt als nächster diese Welt. Seine Frau wird ihn mit einem anderen Superhelden betrügen. Die Geschichte nimmt noch einige Windungen, bevor sie den Leser mit einem kurzzeitig fast versöhnlichem Ende mit Pointe aus seinen Klauen entlässt.


Auf den ersten Seiten des Comic scheint die Comic-Welt noch in Ordnung. Zwar ist die Stimmung ziemlich düster, aber es sieht noch nach einer normalen Crime-Story aus. Von der Vergangenheit Blakes weiß der Leser noch nichts. Doch spätestens als Nightowl weinend vor seinem alten Kostüm sitz verlässt diese Story eingetretene Pfade.


Hier wird ein wahres Feuerwerk an, nicht nur für das Genre Superheldencomic, innovativen Storyelementen abgefeuert. Allein der Subplot in dem der irre Rocharch den Karriere-Psychologen fast verrückt werden lässt, ist für sich allein lesenswert. Oder die faschistische Idee, dass der überlegene Intellekt auch mit unmenschlichen Mitteln die Menschheit einen muss. Überraschung ist bei dieser ursprünglich zwölf teiligen Serie ein Stilmittel. Obwohl der Leser schnell merkt, dass er hier nicht den gewohnten Mix an Spannung und Action vor sich hat, wird er immer wieder durch ungewohnte Erzähltechniken aus seiner Erwartungshaltung gerissen. So greift die Seeräubergeschichte, die ein Junge am Straßenrand liest, immer mehr in die eigentliche Geschichte ein. Die Grenzen zwischen Gut und Bösen werden im Verlauf der knapp 400 Seiten immer mehr eingerissen. Ist der Schurke Moloch wirklich der Böse in dieser Geschichte? In guten alten Zeiten war er der eindimensionale Bösewicht, doch nun ist er krebszerfressen (um Professor Manhatten Schuldgefühle einzureden), wird von Rocharch erpresst und muss selbst nach seiner Hinrichtung als Lockvogel Rocharch in die Falle locken. Also eher ein Spielball höherer Mächte als ein agierender Antipode zu den guten Helden. Ist es Notwehr, wenn man mordet und Leichen missbraucht um zu überleben oder eher unmenschlich? Das Comic spart nicht mit schockierenden Szenen. Wenn zum Beispiel Kinder im Halloween-Kostüm den brutal erschlagenen Superheldenrentner entdecken. Oder wer ist irre? Rocharch weil er stinkt und in Tintenklecksen gespaltene Hundeschädel sieht oder der angesehen Millionär mit seinem kühlen und emotionslosen Vorgehen gegen die Dummheit der Menschheit? Warum quälen Vergewaltigungsopfer sich mit einem Gefühl der Mitschuld? Wie viel Story hält eine Maxi-Serie aus? Watchmen treibt ein übles Spiel mit den Jüngern der Golden Age. Hier wird kein gutes Haar an vorhersehbaren „Bunte Unterhose besiegt mit übermenschlichen Kräften dummen Schurken“-Storys. Einzig der un-/übermenschliche Manhatten zeigt menschliche Einsicht: „Die Moralität meiner Unternehmungen entgeht mir“ - sind also Emotionslosigkeit und Einsicht/Weisheit die Gegensätze von Gefühlen und Brutalität? Keine leichte Kost die durch die vielen Nur-Text Seiten nicht einfacher gemacht wird. Auch fünfzehn Jahre später gibt es eigentlich kein Comic - und besonders kein Superheldencomic - in dem die Personen tiefer, schlüssiger und variationsreicher dargestellt wurden.


Dem innovativen Inhalt steht ein traditioneller Seitenaufbau entgegen. Mit fast stoischer Berechenbarkeit ist jede Seite im 3 mal 3 Bilder Schema aufgebaut. Die Zeichnungen sind perfekt wenn auch eher zurückhaltend normal. Da wird also im Gewand eines 08/15 Comic-Schafes eine Story-Wolf verkleidet. Es gäbe noch so viel über dieses Comic zu schreiben, aber selber lesen macht einfach schlauer.

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